Frieden mit Assad ?
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Artikel vom 28.08.2016 / Ausgabe 35 / Seite 2
Die Türkei marschiert in Syrien ein, verständigt sich mit Russland und dem Assad-Regime. So könnte ein Kursschwenk aussehen, dem sich der Westen verweigert – noch
Es ist ein Ausblick, der für eine Weile die erdrückende Sommerhitze von über 40 Grad vergessen lässt. Die grünen Ufer des Euphrats leuchten in der Abendsonne. Riesige Zypressen stehen wie klassische Statuen zwischen den alten Gebäuden eines Dorfes. Olivenhaine überziehen die Hügel.
Doch die Idylle trügt. Plötzlich zerreißen drei kurze Detonationen die ländliche Ruhe ganz im Osten der Türkei, unmittelbar an der Grenze zu Syrien. In unregelmäßigen Abständen folgen weitere Explosionen, weißgraue Rauchwolken steigen gen Himmel. "Die türkische Armee räumt Minen", erklärt Landwirt Nadschi, der hier sein ganzes Leben verbracht hat. Der 58-Jährige zeigt mit dem Finger auf den syrischen Ort Dscharablus, der direkt an die Grenze zur Türkei anschließt. Das Dorf war diese Woche von türkischen Spezialeinheiten und syrischen Rebellengruppen in einer gemeinsamen Operation vom "Islamischen Staat" (IS) zurückerobert worden. Die Terrormiliz kontrollierte Dscharablus und den dazugehörigen Grenzübergang seit über drei Jahren. Nun säubern Bombenspezialisten der türkischen Armee den Ort und sprengen die von den Dschihadisten hinterlassenen Minen in die Luft.
Die Operation "Euphrat Schild" ist eine Zäsur im seit 2011 währenden syrischen Bürgerkrieg. Erstmals hat sich der Nachbar Türkei, ein Nato-Mitglied, offen und direkt in das Kampfgeschehen eingeschaltet. Zwar hat sich dadurch nichts an dem "großen Chaos und der furchtbaren humanitären Tragödie" geändert, wie der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger die Lage beschreibt : "Wir haben es in Syrien mit einer sehr komplexen Interessenlage zu tun. Es ist unübersichtlich, es kämpft quasi jeder gegen jeden."
Für Amerikaner und Europäer allerdings hat sich sehr wohl etwas verändert. Seit fast sechs Jahren prägen zwei Konstanten die westliche Politik des Zuschauens bei diesem Bürgerkrieg. Die erste lautet : Es gibt keine militärische Lösung in Syrien. Die zweite lautet : Der Diktator Baschar al-Assad muss weg. Beide Bekenntnisse sind zu hohlen Phrasen verkommen, untergegangen im Pulverdampf des syrischen Schlachtfelds.
Die Sprachregelung von der vermeintlichen Aussichtslosigkeit ausländischer Interventionen wird durch die türkische Invasion zum zweiten Mal in kurzer Folge widerlegt. Denn bereits vor einem Jahr, im September 2015, griffen die Russen ein. "Es kann eine militärische Lösung geben", sagt Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, unter einer Bedingung : "Um in Syrien etwas zu erreichen, braucht man Bodentruppen. Will man keine eigenen schicken, sind Verbündete vor Ort nötig." Das bedeutet, sich mit finsteren Gesellen einzulassen. Die Russen paktieren mit Assad. Und die Türken ?
Offiziell spricht Ankara davon, mit der Freien Syrischen Armee (FSA) zu kooperieren. Rund 2000 Kämpfer dieser Miliz zog Ankara in den Tagen vor dem Einmarsch in türkischen Kasernen zusammen, um sie auszurüsten und einzuschwören. Die FSA war das erste größere Militärbündnis der Opposition gegen das Assad-Regime und gilt seitdem als gemäßigt. Mittlerweile aber rangiert bei zahlreichen ihrer Untergruppen die Religion weit vor einer prowestlichen Orientierung oder gar einer demokratischen Grundhaltung. In Dscharablus nahm offiziell nur eine einzige radikal-islamistische Organisation teil, nämlich Ahrar al-Scham.
So versichert es jedenfalls der FSA-Stabschef Ahmad Berri bei einem eiskalten Orangensaft auf der Terrasse des "Starbucks"-Cafés der türkischen Grenzstadt Gaziantep. "Warum auch nicht", sagt Berri. "Sie sind keine Terroristen." Dabei vergaß er zu erwähnen, dass Ahrar al-Scham 2011 von al-Qaida gegründet worden war. Zudem plant die Gruppe einen Zusammenschluss mit den Al-Qaida-Kollegen der Al-Nusra-Front. Die hat sich kürzlich in "Armee der Eroberer" umbenannt und vom internationalen Terrornetzwerk losgesagt, ist aber ideologisch weiter auf Dschihad-Linie. Die türkische Armeeführung ließ sogar Mitglieder von Nureddin al-Zenki für die gemeinsame Operation zu – obwohl diese Brigade im Juli in die Schlagzeilen gekommen war, weil einige ihrer Milizionäre einen zehnjährigen Jungen in Aleppo vor laufender Kamera enthaupteten.
Wenn er da von gemäßigten Kräften lese, sagt der deutsche General Kujat, sträube sich ihm das Haupthaar : "Das ist ein reines Feigenblatt. Die sogenannten gemäßigten Kräfte gibt es nicht mehr, wenn es sie denn je gegeben hat." Langfristig setze der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Syrien auf al-Nusra und al-Qaida. "Das sind seine Verbündeten, die seinem sunnitisch-konservativen Weltbild am nächsten sind. Ihnen will er zu einer maßgeblichen Rolle verhelfen", glaubt Kujat.
Kurzfristig geht es Erdogan um seinen Kampf gegen die Kurden. Der Kampf gegen den IS dürfte eher ein Vorwand gewesen sein, um in Syrien einzurücken. Die Terrormiliz hatte nur noch rund 250 Kämpfer in Dscharablus stationiert, von denen der Großteil schnell die Flucht ergriff. Der türkische Geheimdienst hatte Erdogan zuvor berichtet, die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), in denen die Kurdenmiliz den Hauptteil der Kämpfer stellt, seien kurz davor, ein zusammenhängendes Autonomiegebiet an der Grenze zur Türkei zu erobern – ein Worst-Case-Szenario für Ankara. Erdogan berief eine Krisensitzung ein, auf der die Offensive beschlossen wurde, um den Vormarsch der SDF zu stoppen.
Wer mit den Kommandeuren der FSA spricht, bekommt das bestätigt. Die Rebellen haben den Auftrag, die Kurden jenseits des Ostufers des Euphrat zu halten. "Sollten die Kurden das nicht tun, werden wir sie bekämpfen", sagt FSA-Stabschef Berri. "Dafür ist uns militärische Unterstützung der USA und der Koalition versprochen worden."
Bis dahin hatten die Amerikaner und die von ihnen geführte internationale Koalition die Kurden unterstützt. Sie waren aus westlicher Sicht die bislang erfolgreichsten Kämpfer gegen den IS, und sie streben ein föderales, säkulares System in Syrien an. Anderseits kämpfen sie für ihre Unabhängigkeit, ein Ziel, das kaum ein westlicher Staat unterstützt – schon gar nicht der Nato-Verbündete Türkei. Und die syrischen Kurden stehen der PKK nahe, die nicht nur in der Türkei als Terrorgruppierung gilt. Dennoch lässt sich zweifeln, ob die Volte weg von den Kurden hin zur türkisch unterstützten FSA dem eigentlichen Ziel des Westens, der Terroristenbekämpfung, dienlich ist. Denn letztlich will die FSA einen starken Zentralstaat – auf Basis eines radikalen Islam.
Noch größere Sorgen muss dem Westen womöglich ein weiterer Kurswechsel Erdogans machen. Vor wenigen Tagen verkündete Ankara seine neuen außenpolitischen Richtlinien. Darin ist kein Wort mehr zu finden von der bislang angestrebten Ablösung des syrischen Regimes unter Assad. Stattdessen kooperiert Erdogan nun mit Russland und dem Iran, den beiden Hauptverbündeten Assads, die in der Türkei noch vor wenigen Monaten als "Schlächter des syrischen Volkes" galten. Sogar als Teil einer Übergangsregierung will Erdogan Assad nun akzeptieren. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Russland, der Iran und die Türkei gerade dabei sind, gemeinsam die Zukunft Syriens zu entwerfen. Und der Westen hält still – so wie immer seit 2011.
Die Syrienpolitik der USA und Europas ist die Geschichte eines Maulhelden, der dem Massaker Assads an der Zivilbevölkerung und der Ausbreitung von islamistischen Terrorgruppen jahrelang zugeschaut hat, nie den politischen Willen zum Eingreifen fand und durch Untätigkeit moralische Schuld an humanitären Katstrophen wie in Aleppo und vielen anderen Orten auf sich geladen hat. "Die westliche Syrienpolitik war auf tönernen Füßen gebaut", sagt der Diplomat Ischinger. "Wir haben volltönend gefordert, dass Assad wegmuss. Wir haben aber so gut wie nichts unternommen, um diesem strategischen Ziel politisch und militärisch Nachdruck zu verleihen." Einen außenpolitischen Anfängerfehler nennt Ischinger das : "Wer seinen Worten keine Taten folgen lässt und nur heiße Luft absondert, schadet seiner Glaubwürdigkeit und fordert Gegenreaktionen geradezu heraus."
Am deutlichsten wurde das 2012, als US-Präsident Barack Obama eine "rote Linie" zog und für den Fall des Einsatzes von Giftgas eine militärische Reaktion ankündigte. Als am 21.August 2013 in Ghouta, einem Vorort von Damaskus, das Nervengas Sarin eingesetzt wurde, musste er sich entscheiden. Obama ließ einen Schlag mit seegestützten Cruise Missiles planen. Doch der britische Nachrichtendienst, so erzählt es Kujat, war in den Besitz einer Probe des verwendeten Sarins gelangt. Eine Analyse habe ergeben, dass es sich nicht um Sarin des syrischen Regimes handeln konnte, sondern aus den Beständen von al-Nusra stammte. Obama jedenfalls ließ seinen Plan fallen.
Die US-Doktrin der Nichteinmischung, ein Ergebnis der gescheiterten Irak-Politik, führte zu einem machtpolitischen Vakuum in Syrien – in das im September Russlands Präsident Wladimir Putin vorstieß. Der verfolgt eine klare Strategie in Syrien. Er will erstens verhindern, dass Islamisten aus der Levante in den weichen Unterleib Russlands einsickern, den Südkaukasus. Zweitens will er die Hafenstadt Tartus sichern, seinen Zugang zum Mittelmeer. Und drittens bietet sich ihm in Syrien die Gelegenheit, als globaler Player wieder auf Augenhöhe mit den USA zu kommen.
In kurzer Zeit gelang es den Russen, die trotz der Unterstützung durch iranische Revolutionsgarden und die Hisbollah vor dem Zusammenbruch stehende syrische Regierungsarmee wieder zu einer funktionierenden Streitmacht zu formen. Seitdem verbucht Assads Truppe Geländegewinne. Putin geht es nicht um die Person Assad, es geht ihm um das Regime, das den Einfluss Moskaus in der Region dauerhaft sichern soll. Und der Türke Erdogan hat nüchtern erkannt, dass es ein Syrien ohne Assad oder jedenfalls ohne dessen Hintermänner bis auf Weiteres nicht geben wird. Um selbst weiter mitreden zu können, korrigierte er seinen Kurs und nennt Assad nun einen wichtigen Akteur.
"Ich halte den türkischen Kursschwenk gegenüber Assad für nachvollziehbar", sagt Ischinger. "Und ich plädiere dafür, dass der Westen ihn nachvollzieht. Das ist das große Dilemma : Die Fakten sind einfach so. Wir können sie nicht ignorieren." Moralisch und politisch sei das außerordentlich bedauerlich, sagt Ischinger. "Denn es ist ja richtig, dass man einen Massenmörder bekämpfen sollte. Aber dann muss man eben auch etwas dafür tun. Wir haben nichts oder zu wenig getan. Damit ist dieser Plan gescheitert."
Putin sitzt an den Schalthebeln, Erdogan strebt dorthin. Der Einfluss des Westens dagegen beschränkt sich auf einzelne Akteure wie die wankelmütigen Türken, die eigenwilligen Kurden – und die von den Amerikanern als Reaktion auf den russischen Einmarsch ins Leben gerufenen Wiener Friedensgespräche. Die aber gehen nicht voran, der diplomatische Prozess bleibt längst hinter den auf dem Schlachtfeld geschaffenen Fakten zurück. "Wenn die militärischen Erfolge sich so weiterentwickeln wie bisher, dann spielt der Friedensprozess keine Rolle mehr", prophezeit General Kujat. Auch er plädiert deshalb dafür, dass die Europäer – und auch die deutsche Politik – sich eingestehen, dass das syrische Kartenhaus ohne Assad zusammenbrechen würde.
Die Amerikaner haben das bereits getan. Sagen werden sie es aber erst, wenn ein neuer Präsident gewählt ist. Wohl erst dann ist auch ein Treffen mit Putin möglich, um sich "auf einige strategische Grundlinien" zu verständigen, wie Ischinger es nennt, und zu einer Politik zu finden, "die sich nicht von Illusionen und hochtrabenden Plänen leiten lässt, sondern von realpolitischen Einsichten in das Mögliche". Und das Mögliche in Syrien, das zeigt die lange, blutige Geschichte dieses Krieges, hat mit den Wünschen des Westens wenig zu tun.
Unterstützung für alle gemäßigten Rebellen
Im September 2014 hat US-Präsident Barack Obama eine Anti-IS-Allianz ins Leben gerufen. Sie unterstützt die Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) und die Syrischen Demokratischen Kräfte, zu denen unter anderem die Kurden gehören. Die USA selbst fliegen gegen den "Islamischen Staat" (IS) Luftangriffe, sind aber auch mit speziellen Einsatzkräften am Boden aktiv. Frankreich, Deutschland und Großbritannien gehören zu den etwa 60 Ländern der Koalition gegen den Terror. Großbritannien und vor allem Frankreich beschießen den IS aus der Luft. Die deutsche Bundeswehr setzt Tornado-Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug ein. Auch Jordanien unter König Abdullah II. unterstützt mit seiner Luftwaffe den Kampf gegen den IS.
Für die Freie Syrische Armee
Mit Panzern und Luftangriffen hat die Türkei an der Seite der Rebellen der Freien Syrischen Armee den IS aus der Grenz- stadt Dscharablus verdrängt. Recep Tayyip Erdogans Offensive war teils aber auch dazu gedacht, die kurdisch-geführten Kräfte einzugrenzen. Zudem soll der IS von der Türkei unterstützt worden sein.
Allianz für Assad
Russland und der Iran sind wichtige Stützen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad gegen den IS und alle oppositionellen Kräfte. Das russische Militär unter Präsident Wladimir Putin fliegt seit September 2015 Luftangriffe in Syrien. Für die Angriffe nutzt Moskau eine Luftwaffenbasis im Iran. Die iranische Führung unter Hassan Ruhani unterstützt den schiitischen Herrscher Assad zudem mit Bodentruppen – dabei geht es dem ebenfalls schiitischen Iran auch darum, ein Gegengewicht zu den sunnitischen Staaten in der Region aufrechtzuerhalten.
Hilfe für radikale Sunniten
Saudi-Arabien unter König Salman gilt als sunnitische Schutzmacht und stützt daher radikale sunnitische Kräfte. Darunter auch die Rebellen der Armee der Eroberer der Levante, vormals Al-Nusra-Front. Auch der Herrscher von Katar, Emir Tamim bin Hamad al-Thani, stützt die extremen Sunniten.